Sehr oft ist z.B. in Verkaufsanzeigen zu lesen: "Voll funktionstüchtig" , "Spielt einwandfrei", "Geht an, rauscht aber nur. Sicher nur eine Röhre defekt", und so weiter, und so weiter. In anderen Fällen spielt ein Radio bei seinem Besitzer seit Jahren. Dann beginnt es irgendwann leise zu brummen, die Sender werden schleichend immer schlechter empfangen, die Lautstärke schwankt oder anderes. Manchmal spielt das Radio aber auch augenscheinlich ohne Probleme. Und dennoch, alle oberen Beispiele haben eins gemeinsam. Wenn das Radio noch nie überholt wurde, hat es zweifelsfrei deutliche! mitunter gefährliche Schwächen.
Ein Praxisbeispiel !
Ich erhielt von einem Kunden ein Graetz Melodia 419 zur Instandsetzung. Das Gerät stammte aus dem Nachlass des Vaters, der es regelmäßig auch laufen ließ. Die Info war: Das Radio spielt einwandfrei, aber aus Sicherheitsaspekten sollte es doch mal überholt werden (wären doch alle so vernünftig). Das brachte mich auf den Gedanken, doch einfach mal am Ende meiner eigentlichen Vorgehensweise anzufangen. Nämlich mit einem Test auf Isolationswiderstand und Berührungsstrom. Vorher aber erstmal eine Sichtprüfung und ein langsames hochfahren am Regeltrenntrafo. Die ERO's sahen halt aus wie diese nach knapp 70 Jahren fast immer aussehen - recht fertig. Der dreifach Becherelko sowie die Kleinelkos zeigten rein optisch keine Auffälligkeiten. Also, ein erster, langsamer Start.
Das Radio lief tatsächlich gut an. Viele Sender wurden klar empfangen. Die Lautstärkeeinstellung kratzte etwas und es gab ein leichtes aber permanentes Brummen. Dazu schien die Lautstärke etwas leise.
Ein völlig unerfahrener Radiofreund könnte denken, naja, ist alt, brummt halt ein bisschen, war vielleicht normal damals, aber läuft doch sonst gut. Klasse, kommt (z.B.) in die Werkstatt und kann dann dort schön nebenbei laufen.
Jetzt schauen wir mal genauer hin. Erste Auffälligkeit: Mit zunehmender Laufzeit (ich habe es ca. 7 Minuten laufen lassen), stieg die Leistungsaufnahme langsam aber stetig an. Bin ich Anfangs mit ca. 55 Watt gestartet (bei immer eingestellten 220 Volt), lag die Leistung nach einigen Minuten schon bei 64 Watt. Tendenz weiter steigend! Ich habe dann abgebrochen und abgeschaltet. Aber ich wollte ja noch andere Werte vom Istzustand haben. Also, Runde zwei.
Das Radio wurde an mein Testgerät angeschlossen und es wurde eine Prüfung nach DIN/VDE 0701/0702 durchgeführt. Hier die Ergebnisse:
Isolationswiderstand soll: min. 2mOhm
Isolationswiderstand ist: 8,81 mOhm
Der Isolationswiderstand wäre also noch akzeptabel. Jedoch liegt dieser nach der Instandsetzung bisher immer bei >19,99 Mohm.
Berührungsstrom soll: max. 0,5 mA
Berührungsstrom ist: 1,01 mA
Das vermeidlich problemlos spielende Radio, hat also einen um 100% zu hohen Berührungsstrom zu dem festgelegten Grenzwert und eine schleichende Leistungserhöhung. Das kann man sich (als Privatperson) schönreden (spielt ja...) aber ganz offensichtlich stimmt hier etwas nicht. Und selbst wenn (noch) keine eventuell gesundheitsgefährdende Gefahr besteht, das Radio wird langfristig (vielleicht auch schon beim nächsten einschalten) ziemlich leiden. Der gemessene Zustand wird sich nicht von selbst bessern und mit der Zeit Folgeschäden nach sich ziehen. Wenn man Pech hat sieht es dann irgendwann so aus (Bild stammt nicht von diesem Radio):
Ursache hier, für den zu hohen Berührunsstrom, war der Entstörkondensator. In den meisten Fällen ist dieser (manchmal auch zwei) gut ersichtlich in Trafonähe/verbindung oberhalb des Chassis verbaut und auch sichtbar wenn man nur die Rückwand abnimmt. Hier jedoch wurde er unterhalb des Chassis an einer Leiste angebracht. Ein erster Blick an verdächtig, üblicher Stelle kann also auch täuschen. Das Umfeld zeigt viele weitere dieser alten und definitv defekten ERO Kondensatoren. Alle wurden selbstverständlich getauscht gegen fabrikneue. Der Becherelko wurde übrigens nur stillgelegt, im Gerät belassen und unter dem Chassis gegen neue Elkos mit entsprechenden Werten ersetzt.
Dieser Entstörkondensator war jedoch nicht verantwortlich für die sich stetig erhöhende Leistungsaufnahme. Mit 5000pF war dieser Entstörkondensator ohnehin im Wert zu hoch gewählt (nach heutigen Maßstäben). Um den Berührungsstrom deutlich unter den geforderten 0,5 mA zu halten, sollte der Entstörkondensator max. (4700pF-für mein Dafürhalten schon zu hoch) 3300 pF haben. Ich wähle meist 2200 pF. Schließlich sollte man hier auch immer eine Werttoleranz der / des Kondensators bedenken. Einfache Regel: Je höher die Kapazität, umso höher der Ableitstrom.
Alle anderen, gewechselten Teile sind ebenfalls, mal mehr, mal weniger, vom Isolationswiderstand her defekt. Heißt nichts anderes, als das sie einen Strom durchlassen der dort nicht fließen darf. Das ist sicher nicht an jeder Stelle dramatisch. Andererseits steigert das aber auch die Gesamtstromaufnahme. Um wieviel? Wer weiß das schon. Der eine etwas mehr, der andere vielleicht etwas weniger. Aber in Summe addieren sich hier einfach (in dem Fall) über 20 Bauteile welche die Stromaufnahme erhöhen. Und am Ende sind es dann 10, 20, 30, >100 mA ? mehr wie vorgesehen. Was sagt dazu wohl der Netztrafo? Diese sind oft " auf Kante genäht". Da ist nicht viel Reserve drin. Und wenn dann ein Sammelsurium an defekten Bauteilen den Strombedarf so künstlich hochzieht, kann der Netztrafo irgendwann seine Sollgrenze einfach überschreiten. Und das wird nur eine begrenzte Zeit gut gehen. Er wird heiß werden und letztendlich....siehe Foto oben.
Hier die Werte während der Versuchsreihe, immer mit 220 Volt genommen:
Start ohne Teiletausch: 55 Watt = ca. 0,25 A
Wert nach ca. 7 min. Laufzeit, Tendenz weiter steigend: 64 Watt = ca. 0,29 A
Wert nach dem Tausch aller Problemkondensatoren: 50 Watt = ca. 0,23 A
Obwohl die Obergrenze der Leistungsaufnahme vor Instandsetzung nicht ganz ausgetestet wurde, zeigt dies bis hierhin doch schon eine Mehrbelastung von 22% ! Wer weiß wie hoch sich das noch gesteigert hätte. Wer weiß wie lange der Trafo und andere Bauteile dies noch mitgemacht hätten. Ein nicht überholtes Radio also einfach mal laufen zu lassen ist nicht nur potentiell gefährlich (zu viel Strom = übermaßige Wärme/Hitzeentwicklung. Zu viel Hitze = Brandgefahr!) sondern provoziert auch völlig unnötige Folgeschäden. Ganz abgesehen von möglichen Defekten, welche vielleicht tatsächlich zu einem empfindlichen Stromschlag führen können.
Die abschließende Prüfung nach DIN/VDE 0701/0702 ergab übrigens einen Isolationswiderstand von > 19,99 mOhm und einen Berührungsstrom von 0,21 mA. Na also, geht doch....
Darüber hinaus: Kein Brummen mehr, kein kratzen des Lautstärkepotis mehr, eine deutliche Lautstärkeerhöhung, glasklarer und reichhaltiger Empfang, hervorragender Klang. Und vor allem - wieder Betriebssicher!
So ist das immer, was diese Radios wirklich leisten können, stellt man immer erst im Vergleich zu vorher fest!